Autor: Ferdinand Ullrich

Emil Schumacher

"Der Erde näher als den Sternen" ist eine künstlerische Maxime von Emil Schumacher. Er gilt als einer der prominentesten Künstler des deutschen Informel und als Repräsentant einer sehr deutschen Variante dieses internationalen Stils. Seine Expressivität schwingt sich nicht auf zu materieloser Geistigkeit. Das "Erdverbundene" ist Grundlage jedes seiner Bilder. Malerei ist für ihn primär ein sinnliches Phänomen, das erst in der Folge Geistigkeit sozusagen aus eigener Kraft entwickelt. Sie ist ihm immer nur auf der Grundlage von sinnlichem Material möglich. Seine Spontaneität ist, wie Walter Kambartel es genannt hat, in ihrer Verhaltenheit immer Störungen unterworfen. Die pastose, geradezu haptische Malsubstanz ist der Grund dieser Störung. Jede Form ist dieser formlosen Ursubstanz in einem physischen Prozeß abgerungen. Beides aber bleibt dem Bilde ablesbar: "Formlos und doch Form".
Linie, Farbe, Material sind die Grundkomponenten seiner Kunst, die sich einen Zustand zwischen chaotischem Ursprung und wohlkalkulierter Komposition erhält. Linie durchdringt Farbe, die ihre Existenz wiederum auf Materie gründet.

Madai, 1986, Öl auf Holz, 170 x 250 cm, Sammlung Ströher, Darmstadt (© VG Bild-Kunst, Bonn 2011)

 
Als Emil Schumacher 1948 gemeinsam mit Gleichgesinnten in Recklinghausen die Künstlergruppe "junger westen" gründet, deren erster Vorsitzender er wird, experimentiert er mit der Abstrahierung klassischer Vorlagen: Industrielandschaften, Stilleben, mythologische Szenerien. Die Aufteilung der Bildfläche ist hier sein Thema, und das abstrahierte Motiv ist Kompositionselement. Er unterscheidet sich damit kaum von seinen Künstlerkollegen, die in ähnlicher Weise die neuen Freiheiten und Möglichkeiten erproben. Aber schon im Detail bemerkt man sehr bald den eigenen Weg, den Schumacher einschlägt: die Bedeutung der Linie, die sich freimacht von motivumschließender Funktion, der Farbe, die nicht mehr nur Konturen ausfüllt, der Malsubstanz, die nun Eigenwert bekommt. Der Gegenstand ist nur noch die Oberfläche für freie malerische Experimente.

Aber immer noch findet sich ein sehr präsentes formales Gerüst, das auch beim Übergang in die Motivlosigkeit bildbestimmend ist (Räumliche Trennung, 1955). Der Zusammenhalt des Bildes ist eine Grundbedingung für das Werk von Emil Schumacher, den er immer wieder thematisiert. Schließlich finden wir auch bei ihm das tatsächliche Ausgreifen der Malerei in den Raum. Materialbilder und Tastobjekte vollziehen in der zweiten Hälfte der 50er Jahre die Verwandlung der Malsubstanz zum plastischen Material, das sich auch anderer Substanzen als farbtragende Elemente bedient, wobei auch der bildbegrenzende Rahmen sich zunehmend auflöst. Form wird gesprengt, und neue Form wird konstituiert. Die Objekthaftigkeit der Bilder verzichtet nun auf den Schwebezustand zwischen Flächenmalerei und potentieller Plastizität, ausgedrückt in einer Oberfläche, die plastisch ist und doch Malerei bleibt. Das, was bisher in der Schwebe zwischen Imagination und Materialität war, schlägt sich jetzt sozusagen auf die Seite der Skulptur. Die Materialität, die bisher immer nur eine angedeutete und immer wieder in der Fläche zurückgenommene war, ist nun unverzichtbarer Bestandteil einer plastischen Konzeption. Daß die plastischen Flächen dann auch in den Hammerbildern in ihrer Oberfläche verletzt werden, muß man als einen höhst künstlerischen Ausdruck dieses Konflikts zwischen Fläche und Raum verstehen.

Ebenso läßt sich im Werk eine Reduktion der formalen Mittel feststellen. Alles Anekdotische und jede Beliebigkeit sind verschwunden. Das lineare Gerüst verschwindet, und der Farbkanon wird sparsamer und konzentrierter. Allein überwölbende Bögen halten nun die Bilder in einer extremen Spannung und doch wie selbstverständlich zusammen. Diese Spannung entsteht auch deshalb, weil die Bogenformen keineswegs perfekt sind und immer in der Gefahr zu sein scheinen, in sich zusammenzustürzen und das Bild mit sich zu reißen. So basieren die Werke auf der kühnen Balance von Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit und sind damit der Wirklichkeit näher als der vordergründige Realismus, der Anfang der 50er Jahre mühsam überwunden wurde. Das Flüchtige und Zufällige, das für das Informel so typisch ist, bekommt bei Schumacher etwas von natürlicher Dauer und objektivem Bestand.

(Dieser Text wurde veröffentlicht in: Ferdinand Ullrich (Hrsg.): Kunst des Westens. Deutsche Kunst 1945 - 1960. Kunstausstellung der Ruhrfestspiele Recklinghausen 1996, Ausstellungskatalog Kunsthalle Recklinghausen, Köln: Wienand, 1996, S. 206)