Autor: Christoph Zuschlag

Karl Otto Götz

Er wird als der formellste unter den Informellen bezeichnet, und in der Tat nimmt die Kunst von Karl Otto Götz im breiten Spektrum des Informel eine Sonderstellung ein. 1 Das zeigt schon der Blick auf sein Frühwerk, also die Jahre vor 1952: Bereits um 1933, während der Studienzeit in seiner Geburtsstadt Aachen, entstehen erste abstrakte Arbeiten.

12. 3. 53, 1953, Mischtechnik auf Leinwand, 90 x 110 cm, Sammlung Ströher, Darmstadt. Foto: Olaf Bergmann, Witten (© VG Bild-Kunst, Bonn 2011)
Torden, 1990, Mischtechnik auf Leinwand, 220 x 330 cm, Sammlung Ströher, Darmstadt. Foto: Olaf Bergmann, Witten (© VG Bild-Kunst, Bonn 2011)

Ab 1935 fertigt Götz - ungeachtet des Mal- und Ausstellungsverbots durch die Nationalsozialisten - Spritzbilder mit Hilfe von Schablonen, gleichzeitig experimentiert er mit abstrakten Filmen, Fotomalereien und Fotogrammen. Von 1941 an schafft der Künstler sogenannte „Luftpumpenbilder“, bei denen Aquarellfarbe durch Stöße aus der Luftpumpe auf dem Bildträger verteilt und anschließend weiterbearbeitet wird. Ebenfalls in den 40er Jahren beginnt die Beschäftigung mit druckgraphischen Techniken.
Ab 1944 arbeitet Götz an der „Fakturenfibel“, einem didaktischen Formen-ABC, in dem die sichtbare Wirklichkeit auf gestalthafte Kürzel reduziert wird. 2 Bereits in seinem dritten Lebensjahrzehnt geben sich Grundeigenschaften der Kunst des K. O. Götz zu erkennen: das ausgeprägte Interesse an Technik und Wissenschaft; die Liebe zu Experiment und Zufall bei gleichzeitigem Willen zur Systematisierung; die Auseinandersetzung mit dem Surrealismus (heute gilt Götz als einer der bedeutendsten surrealistischen Lyriker in Deutschland).

Die 1950er Jahre
Eine Schlüsselstellung im Werk von K. O. Götz nehmen die 50er Jahre ein. Götz lebte in Frankfurt am Main und in der damals unumstrittenen Kunstmetropole Paris.
Als Herausgeber der literarischen Zeitschrift "Meta" (1948-1953) hatte er Kontakte zur Künstlergruppe COBRA geknüpft, deren einziges deutsches Mitglied er 1949 wurde. Auf diese Weise nahm er Verbindungen zur internationalen Avantgarde-Szene in Paris auf. Die regelmäßigen Besuche dort in den 50er und 60er Jahren, die Kontakte zu Malern wie Hans Hartung, Georges Mathieu, Jean Fautrier, Wols und Sam Francis, aber auch zu den Surrealisten um deren Wortführer André Breton waren ein wichtiger Rückhalt für den jungen deutschen Künstler.

Maltechnik

Gemeinsam mit Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze gründete K. O. Götz im Dezember 1952 in Frankfurt am Main die heute legendäre Ausstellungsgemeinschaft "Quadriga", die Wiege der informellen Malerei in Deutschland. Bei deren erster Ausstellung zeigte Götz zwei Lackbilder und sein letztes Ölbild - seither arbeitet er auf der Leinwand nur in Mischtechniken. Diese informellen Bilder enthielten bereits die charakteristischen variablen Auflösungen des klassischen Formprinzips, die sein Œuvre fortan bestimmen sollten. Das nun einsetzende informelle Werk ging einher mit der Entwicklung von Götz' ureigener Malweise: der Rakeltechnik. (...) In einem ersten Schritt schreibt Götz dünnflüssige Farbe auf den Bildträger, der auf dem Boden liegt. Nach kurzer Konzentration folgt ein zweiter, alles entscheidender Schritt: das teilweise Wegschleudern oder Verschieben der Farbe mit der Rakel. Durch den Eingriff mit der Rakel - je nach Bildformat gibt es verschiedene Pinsel- und Rakelgrößen bis zu einem Meter Breite - entsteht im Positiv der Farbspur stellenweise ein Negativ, dessen helle Faktur sich mit dem Fond verbindet. Mit dem trockenen, "leeren" Pinsel schreibt Götz meist in einem dritten Schritt in das Bild hinein, verbindet positive mit negativen Passagen.

Der eigentliche Malvorgang darf indessen nicht mit der dahinterstehenden künstlerischen Konzeption verwechselt werden. Den Werken des Künstlers liegt nämlich immer ein bestimmtes abstraktes Schema zugrunde. Ein solches Schema, gedanklich oder in vielen kleinen Skizzen und Gouachen vorbereitet, enthält das Gerüst des Bildes, Richtungsverläufe und Massenverteilungen. Innerhalb des einmal gefundenen kompositionellen Gerüsts sind dem Zufall dann keine Grenzen gesetzt. Im Prozeß der Bildentstehung halten sich emotionale und rationale, spontane und reflexive Momente die Waage. Mißlingt ein Bild, wird es durch Auswischen komplett zerstört und ein Neuanfang gewagt.

In Wiederholungen und Abwandlungen, meist in unterschiedlichen Techniken ausgeführt, lotet der Künstler die Möglichkeiten und Grenzen eines Schemas aus und optimiert es. 3 Ein Beispiel: Am 3. Oktober 1990 schafft Götz das großformatige zweiteilige Bild in Schwarz-Weiß, dessen Titel auf den Tag der Entstehung, den Tag der deutschen Einheit, verweist. 1991 folgen zwei Variationen dieses Werkes im selben Format, in Schwarz-Weiß und blau und in Schwarz-Weiß und Orange-Braun. Die Bevorzugung des Schwarz-Weiß-Kontrastes im Zusammenspiel mit einigen wenigen Primär- und Sekundärfarben ist typisch für die Malerei von K. O. Götz. 4

In der einzigartigen Verbindung seiner individuellen Malweise mit Bildschemata, die ihm einen bis heute schier unerschöpflichen Horizont an Ausdrucksmöglichkeiten eröffnet, liegt der besondere Reiz der Kunst von Karl Otto Götz. Zugleich leistet er damit einen herausragenden Beitrag zur informellen Kunst.

1 Siehe Manfred de la Motte: Genaugenommen, in: ders. (Hrsg.): K. O. Götz, Bonn 1978 (Taschenbuchreihe der Galerie Hennemann, Nr. 18); sowie Rissa: Bemerkungen zum informellen Werk von K. O. Götz, in: Horst Zimmermann (Hrsg.): K. O. Götz. Malerei 1935 - 1993, Ausst.kat., Staatliche Kunstsammlung Dresden Albertinum, Gemäldegalerie Neue Meister, 1994, S. 51.
2 Siehe K. O. Götz: Fakturenfibel 1944-45, Galerie Marianne Hennemann Bonn, Düsseldorf 1995.
3 Siehe Klaus Heinrich Kohrs: Schema und Variation, in: K. O. Götz, Monotypien, Gemälde, Gouachen 1935 - 1983, Ausst.kat., Düsseldorf/Saarbrücken/Esslingen, 1984/85, S. 138-142; sowie Christoph Zuschlag: Variation als Prinzip. Gedanken zur Mappe "Variationen" von Karl Otto Götz, in: Manfred Hügelow (Hrsg.): Karl Otto Götz. Werkverzeichnis der Original-Lithographien, Ergänzungsband 1994-1995, Offenbach a.M. 1995, S. 9-13.
4 Vgl. hierzu Christoph Zuschlag, Karl Otto Götz: »Jonction« — ein informelles Historienbild?, in: Ralph Melcher (Hrsg.), K. O. Götz — Impuls und Intention. Werke aus dem Saarland Museum und aus Saarbrücker Privatbesitz, Ausstellungskatalog Saarbrücken, Worms 2004, S. 79-84. Vgl. ferner Christoph Zuschlag, Ein Triptychon gegen den Atomkrieg. K. O. Götz und das informelle Historienbild, in: Kunstzeitung, Ausgabe 170, Oktober 2010, S. 26.

(Dieser Text wurde mit Einverständnis des Autors für diese Website gekürzt und um den Hinweis auf seine Aufsätze von 2004 und 2010 ergänzt. In der Originalfassung wurde er veröffentlicht in: Tayfun Belgin (Hrsg.): Kunst des Informel. Malerei und Skulptur nach 1952. Ausstellungskatalog Museum am Ostwall Dortmund / Kunsthalle in Emden / Neue Galerie der Stadt Linz, Wienand Verlag 1997, Seite 102-103)