Autor: Hans Günter Golinski

Fred Thieler

Von der Nazibarbarei als Halbjude unmittelbar betroffen und zur Sprachlosigkeit gezwungen, sublimiert Fred Thieler seine innere Entfaltung mittels der Malerei. Durch den äußeren Druck auf sie geworfen, bleibt seine Bildwelt anfänglich auch dem Äußerlichen verhaftet; Im konventionellen Stil der Münchner Akademie bildet er Menschen, Landschaften und arrangierte Stillleben ab.
 

Reliefcollage Bamberg 1964, 1965, Mischtechnik, Samt, Collage auf Holz Triptychon: 3 x je 120 x 65 cm, Sammlung Ströher, Darmstadt. Foto: Olaf Bergmann, Witten (© VG Bild-Kunst, Bonn 2011)

Nach dem Krieg setzt er den 'unfreiwilligen' Weg fort, sucht sich in der Kunst und damit in der Gesellschaft zu verorten; erste vorsichtige Befreiungsversuche vom Gegenstand finden in seinen Bildern statt. Hilfestellung gibt ihm dabei die Münchner Vereinigung von Künstlern und Theoretikern ZEN 49, die seit diesem Jahr den Schritt nach vorn ins ungewisse Neue proklamiert und zum Bruch mit denen, die "rückwärtsblickend auf der Stelle treten" (Geiger), aufruft. Diese zugleich künstlerische wie auch politische Haltung ist bestrebt, von der unmittelbar gemachten Erfahrung der NS-Diktatur und des Krieges abzuheben; Denn ein konkretes Aufarbeiten und Abrechnen mit der jüngsten deutschen Vergangenheit hieße für die Künstler eine inhaltliche Beschäftigung mit dieser Unkultur in ihren Werken. Stattdessen beziehen sie einen Standpunkt jenseits von Ideologien. Für Thieler ist es etwas "Prinzipielles, das aus der Nachkriegszeit kam. Wir sind angetreten mit der absoluten Verurteilung der Ideologien ... Und es ist natürlich schwierig, ohne Ideologien zu leben, es bedeutet einfach, ohne Sicherheit zu leben ..." Seine Generation habe versucht, sich "nicht an etwas anzuschließen, sondern nur eine eigene von uns und für uns anerkannte Gültigkeit mit aller Unsicherheit in unseren Bildern zu finden ..."

Auch für Thieler vollzieht sich Anfang der 50er Jahre eine neue Sichtweise auf die Malerei, auch er experimentiert mit ihren Mitteln und betreibt das Malen als 'forschendes Tun'. Die Ikonomachie der Informellen bedeutete ihm die Entleerung der Malerei von überkommenen Inhalten und Formen, das Erreichen eines Nullpunktes, von wo aus sie individuell neu belegt werden kann. Er befreit sich von seiner künstlerischen Vergangenheit, das heißt, den Gegenständen und Inhalten; das informelle Konzept bedeutet seinen Neuanfang dahingehend, daß Malerei für ihn zu Kommunikation an sich wird. Entstanden aus dem sozialen Bedürfnis eines gegenseitigen Mitteilens auf visuelle Weise und in dieser Funktion zu höchster Form gelangt, befindet sich die Malerei wieder einmal an einem Punkt ideologischer Überfrachtung, die ihrer Natur zuwiderläuft. Demgegenüber besteht die Gefahr des totalen Bedeutungsverlustes, eines Abgleitens ins Beliebige, was die dekorative Form zur Folge hat. Malerei dient dem Dialog, ist ein Verständigungsmittel, Malerei als Sprache muß verständlich sein, "sich nach bestimmten Gestalten und Leitthemen ausarbeiten, die zu Modellen gerinnen, welche man, mangels eines besseren Wortes, als Formen bezeichnet. Aber wenn Form, dann, in dem Sinne, daß sie den ganzen Spielraum ihrer vollkommen unbegrenzten, unvorhersehbaren und überquellenden Strukturentwicklung einbezieht." (Jaroslav Serpan).

Thieler setzt diesen Dialog kunstimmanent in Gang und führt ihn mit bildnerischen Mitteln, allen voran der Farbe, als Analogon zum unvermittelten menschlichen Zwiegespräch. Dialog meint ein Tun, das der Mitteilung, dem Austausch, der Erkenntnis dient, stellt eine elementare Daseinsäußerung dar. Ihm eine adäquate Form zu geben, ist der Inhalt Thielers Malerei. "Maler sein, heißt für mich, die Existenz eines Zeitgenossen zu führen, der den Hauptteil seines Daseins mit dem Versuch verbringt, die Impulse seines Lebens: Anregungen wie Depressionen, Intuitionen wie berechnende Überlegungen, Reaktionen aus Einzelergebnissen wie Erlebnisketten malerisch aufzuzeigen - oder im Malvorgang zu gewinnen. Malen bedeutet für mich, die Erfahrungsanalogien und -differenzen zu registrieren und ein Ergebnis zur Entstehung zu bringen, das, aus dem Malprozeß entlassen, für den Betrachter wie für den Maler selbst sich als Reflexion menschlichen Daseinserlebnisses darstellt und anbietet."

(Dieser Text wurde veröffentlicht in: Ferdinand Ullrich (Hrsg.): Kunst des Westens. Deutsche Kunst 1945 - 1960. Kunstausstellung der Ruhrfestspiele Recklinghausen 1996, Ausstellungskatalog Kunsthalle Recklinghausen, Köln: Wienand, 1996, S. 224)